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Allgemeinprüfer versus Spezialprüfer

In einer der ersten Prüferlisten nach dem Krieg 88) findet man unter der Rubrik „Allgemein-Prüfer“ Namen wie August Drahn (Prüfgebiet: alle Marken vor 1918), Robert F. Engel (Prüfgebiet: alle Marken vor 1914), Dr. Paul Pirl (Prüfgebiet: alle Marken bis 1914), Nikolaus Renard (Prüfgebiet: alle klassischen Marken der ganzen Welt) oder Dr. Arthur Schroeder (Prüfgebiet: alle Marken vor 1914). Aber auch unter der Rubrik „Spezialprüfer“ findet man Namen, die das komplette Altdeutschland als Prüfgebiet angeben oder gar Europa klassisch oder Europa allgemein.

Auch die vom BPP herausgegebene „Offizielle Prüferliste 1963“ weist für das Prüfgebiet „Allgemein Altdeutschland“ neun Prüfer aus, für „Allgemein Europa“ sechs Prüfer und für „Allgemein Altübersee“ ebenfalls sechs Prüfer.

Die Gründe dafür, daß solche weitgefaßten Prüfgebiete nicht mehr zu tolerieren waren, schildert anschaulich Carlrichard Brühl im Jahre 1985: „ …. und wenn Fehlprüfungen vorkommen, dann geht es in der Regel um nicht erkannte Reparaturen, um irrige Farbeinstufungen und dgl., häufig auch um falsche Stempel oder falsche Aufdrucke, aber nur höchst selten einmal um nicht erkannte Ganzfälschung. Die Tätigkeit des Prüfers ist daher heute ungleich viel differenzierter als noch vor dreißig oder vierzig Jahren, auch die Anforderungen an seine allgemeinen postgeschichtlichen und philatelistischen Kenntnisse sind außerordentlich gestiegen.

Der moderne Prüfer muß nicht nur technisch versiert sein, er muß sich beispielsweise auch in Postrouten und Posttarifen auskennen, um den raffinierten Briefmontagen philatelistisch höchst versierter Fälscher auf die Spur zu kommen. Mit einem schlichten ‚echt‘ oder ‚falsch‘ ist es heute meist nicht getan, der Sammler will und muß mehr wissen; so wünscht er oft auch Auskunft über die Seltenheit bestimmter Frankaturen, Stempel oder Einheiten, auch wenn das nicht die eigentliche Aufgabe des Prüfers ist und dessen Arbeit zusätzlich erschwert.“ 89)

In einem Gespräch am 22./23. Juli 1972 90) in Berlin zwischen BDPh, BDB und BPP wurde auch das Thema „Einschränkung der Prüfgebiete“ behandelt. Alle Anwesenden waren darin einig, daß die Prüfgebiete „weitgehend eingeschränkt werden sollten. Ein Allesprüfer … sei nicht mehr vertretbar, da Kenntnisse und Vergleichsmaterial kaum ausreichten.“ Damit waren Prüfer, wie z.B. Hoffmann-Giesecke, dessen weit gespannte Prüfgebiete aus Anlage 10 auf S. 156 ersichtlich sind, praktisch „Auslaufmodelle“.

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Anlage 10

Hatte sich in den 17 Jahren zwischen 1946 und 1963 hinsichtlich der Allgemeinprüfer keine wesentliche Änderung ergeben, so zeigt – wiederum nach
17 Jahren – die Prüferliste 1980, daß es im BPP für die deutschen Gebiete praktisch nur noch Spezialprüfer gab.

Anders war dies bei den europäischen Prüfgebieten. Brühl schrieb hierzu: „Der ‚Bund‘ ist zwar nicht bereit, künftig noch einen Prüfer für ein Teilgebiet wie ‚Altdeutschland‘ aufzunehmen, findet aber selbstverständlich nichts dabei, nur einen Prüfer für altitalienische Staaten zu bestellen.“ 91) Brühl fuhr fort: „Es wird deutlich, daß die Spezialisierung der Prüfer nicht nur eine Frage des Bedarfs sondern auch der vorhandenen Möglichkeiten ist.“ 92)

Durch den Übergang vom Allgemeinprüfer zum Spezialprüfer kam es natürlich auch zu neuen Prüfergebnissen. Die Auktionatoren klagten über sich widersprechende Prüfurteile, die Unsicherheit in der Philatelie und laufende erhebliche Schädigung von Sammlern und Händlern zur Folge hätten. „So wurden und werden laufend aus teuer gekauften Marken, geprüft von einmal großen Prüfern und anerkannten Kennern, fast über Nacht wertlose Fälschungen.“ 93)

Der Auktionator Fehr sprach damit ein Problem an, das auch heute noch zum Teil in Sammler- und Händlerkreisen nicht verstanden wird, nämlich daß frühere Prüfungen sich als nicht mehr zutreffend erweisen können. Es gibt in der Philatelie wie auch in zahlreichen anderen Bereichen keine absolute Sicherheit. Frühere Prüfergebnisse können durch neue Erkenntnisse, wie z.B. Auftauchen von bisher unbekannten Belegen, durch Öffnung bisher unzugänglicher Archive, durch bisher unbekannte Informationen oder aufgrund technischen Fortschritts erstmals allgemein zugänglicher Prüfmethoden hinfällig werden.

Ein schönes Beispiel für neue Prüfstandards brachte Dr. Debo beim Spitzengespräch der Verbände Anfang 1974 bezüglich des Rotaufdrucks von Berlin: „Hier wurden Fälschungen mit der Originalfarbe vorgenommen. Dies wusste man erst, als herauskam, dass sich einer in der Ostzone die Originalfarbe gestohlen hatte. Von dem Bundesprüfer Schlegel, der dies ermittelt hat, kann man nicht verlangen, dass er eine Berlin-Rot als echt prüft, wenn er weiss, daß sie falsch ist.“ 94)

Ein weiteres Beispiel schilderte Hans-Georg Schlegel 1988 bezüglich der Marke BRD 948U: „Hiervon tauchten 1978 einige Marken auf. Zunächst wurde diese Marke von mir geprüft, es dürften jedoch nur einige Exemplare mit meinem Signum existieren. Erst ein Mord in Kollegenkreisen brachte ans Licht, unter welchen kriminellen Umständen dieses Material auf den Markt gelangte. Auf der Prüfertagung vom 26.2.1980 wurde festgestellt, diese Makulatur nicht mehr zu prüfen, entsprechende Fachveröffentlichungen gingen allen interessierten Kreisen zu. So wurde der Sachverhalt um die Mi.-Nr. 948UF aus der Philatelie vom März 1980 bekannt.“ 95)

Dr. Debo brachte es schon 1971 auf den Punkt: „Natürlich kann ein Bundesprüfer nur nach dem jeweils vorhandenen Stand der Forschung urteilen, Forschungsergebnisse der Zukunft kann er nicht voraussehen.“ 96)

Das Vordringen der Spezialprüfer war im wesentlichen dadurch bedingt, daß die Forschung etwa ab Mitte der 60er Jahre eine enorme Entwicklung verzeichnete. Das verfügbare Wissen wuchs, insbesondere bei den deutschen Prüfgebieten ab 1945, so stark an, daß seine Beherrschung zwangsläufig eine Beschränkung beim Umfang der Prüfgebiete erforderte. Diese hatten bisher eigentlich nur die Prüfer der deutschen Inflation realisiert, nun zogen auch andere Gebiete nach. War z.B. 1963 für das gesamte Prüfgebiet Sowjetische Besatzungszone nur ein Prüfer verzeichnet, war das Gebiet schon wenige Jahre später auf die einzelnen OPD-Ausgaben aufgeteilt. Noch stärker schritt die Spezialisierung z.B. bei dem Prüfgebiet Bezirkshandstempel voran.

Französische Zone als Prüfgebiet wurde überhaupt erst durch Hans-Georg Schlegel begründet. Seine Aufnahme in den BPP – zu einer Bewerbung mußte er erst vom APHV-Präsidenten Jürgen Ehrlich überredet werden – erwies sich als ausgesprochener Glücksfall. Er war der erste Prüfer, der in seinem Spezialprüfgebiet Berlin und in den von ihm nach und nach übernommenen Prüfgebieten eine konsequente Stempelprüfung vornahm.

Bei den deutschen Lokalausgaben 1945/46, bei denen die Forschung enorme Fortschritte brachte 97), ist die Spezialisierung insbesondere wegen der Stempelprüfung soweit fortgeschritten, daß es einem Prüfer nicht mehr möglich ist, das gesamte Gebiet abzudecken.

88) Prüfer-Liste, in: Mitteilungsblatt des Bundes deutscher Philatelisten Nordrhein-Westfalen, Nr.1 vom 7. Oktober 1946.

89) Carlrichard Brühl, Geschichte der Philatelie, Band 1, Hildesheim, Zürich, New York 1985, S. 494.

90) Vgl. S. 45–47.

91) Carlrichard Brühl, a.a.O., S. 490.

92) Ebd., S.490 f.

93) Willi Fehr, Vorschläge zur Reform des Prüfwesens, 14. Juli 1972, S.2 f.

94) Niederschrift (Ergebnisprotokoll) über das Spitzengespräch der philatelistischen Organisationen in Köln, Hotel Consul am 12. Januar 1974 von 900–1600, S. 4.

95) Hans-Georg Schlegel, „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche“, in: NBl., Nr. 5 vom Mai 1988, S. 17.

96) Arno Debo, Was falsch ist, bestimmt nicht der Bundesprüfer!, in: mauritius, Heft 44 vom
5. August 1971, S. 19.

97) Einen Überblick gibt Hans-Karl Penning, Philatelistische Kriterien für die Anerkennung der deutschen Lokalausgaben 1945/46, in: philatelie, Nr. 356 vom Februar 2007, S. 23–25, Nr. 357 vom März 2007, S. 37–40, Nr. 358 vom April 2007, S.25–29, und Nr. 359 vom Mai 2007, S.51–53.

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